Jetzt ist sie wirklich genervt. Die kleine Nonne im hellblauen Gewand, mit weisser Haube, steht mitten auf dem Petersplatz. Hunderte Menschen drängen sich hier, wollen einen Blick auf den Leichnam von Papst Franziskus erhaschen, der gerade im offenen Sarg vor ihnen durch die Menge getragen wird. Sie haben sich auf Stühle gestellt, die für die Andacht aufgebaut wurden, halten Handykameras in die Höhe und filmen den Sarg, sind auf der Suche nach dem besten Bild. Eine Wand aus Körpern und Kameras. Die kleine Nonne hat keine Chance, den Sarg zu sehen. «Können sich die Leute nicht wenigstens mal hinsetzen?», sagt sie auf Italienisch.
Dieser Mittwoch ist ein Tag der Trauer für viele. Nicht nur in Rom, weltweit wollen Menschen Abschied nehmen vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Am Sonntag noch hatte Papst Franziskus an genau diesem Platz den Ostersegen gesprochen. Nun wird er, einbalsamiert und in einem rot ausgelegten Sarg, an Gläubigen, Touristen und Anwohnern vorbeigetragen.
Können sich Tausende, wenn nicht gar Zehntausende Menschen einig werden, wie man am besten Abschied nimmt? Diejenigen, deren Leben der Papst prägt – und diejenigen, die einfach zufällig in Rom sind und gerne ein Bild von dieser Story auf Instagram posten möchten. Kamera auf Selfiemodus, der Petersdom muss in den Hintergrund. Gemeinsam stehen sie in der Schlange vor dem Petersdom – und sie müssen es an diesem Tag lange nebeneinander aushalten. Es dauert Stunden, bis sie endlich in den Petersdom kommen und die aufgebahrte Leiche des Papstes sehen können.
Hier im Dom zerfällt diese erzwungene Koexistenz sofort, in zwei Lager. Die einen zücken ihre Handys und machen ein Bild vom verstorbenen Franziskus. Die anderen bekreuzigen sich, nicht selten mit einem Wort des Missfallens über die bildgierigen Voyeure. Als der Priester Vincenzo aus Norditalien wenige Meter vor dem Sarg des Papstes sieht, wie zahlreiche Handys in die Höhe gehalten werden, da sagt er:
Aber die Wachen vor dem Sarg sagen nur: «Gehen Sie weiter, gehen Sie weiter, bitte, nicht stehen bleiben! Nicht stehen bleiben!» Der Menschenfluss darf nicht stocken, draussen warten noch viele Tausende auf Einlass.
Wie soll man trauern, wenn neben einem jemand eine Story für Instagram dreht?
Lea Carli aus Bologna versucht genau das zu ignorieren. Die Rentnerin ist gläubig, sie will sich hier draussen, unter der brennenden Sonne in der Schlange, nicht vom Eigentlichen ablenken lassen: sich von einem Papst zu verabschieden.
Noch am 6. Januar hat sie ihn beim Angelus-Gebet auf dem Petersplatz gesehen, eine kostbare Erinnerung. Nach Stunden des Wartens kommt auch Carli im Petersdom an. Als eine Frau neben ihr sich über die Leute beklagt, die sofort ihre Handys zücken, sagt sie nur:
Bilder entscheiden, wie der Mensch auf Dinge blickt – und vielleicht auch, wie sie ihr eigenes Leben führen. Aruy Soares und Amal Puthayath, beide 27 Jahre alt, stammen aus Indonesien und aus Indien und widmen ihr Leben dem Glauben. Sie sind katholische Missionare und studieren seit zwei Jahren in Rom. Papst Franziskus war eine der prägendsten Figuren ihres Lebens – obwohl sie ihm nie persönlich begegnet sind. Der Papst ist sogar der Grund, warum Soares von Indonesien nach Rom gekommen ist.
An Papst Franziskus bewundern sie, wie bescheiden er gelebt und wie sehr er sich für ärmere Weltregionen eingesetzt habe. «Als er Indonesien besucht hat, hat ihm unser Präsident ein schickes Hotel angeboten und einen Privatjet», sagt Aruy Soares. «Aber er wollte das alles nicht.»
Von dieser Bescheidenheit von Papst Franziskus weiss die Welt durch Bilder. Statt im gepanzerten Papstmobil zeigte sich Franziskus im gebrauchten Renault 4 – oder nahm, noch vor seiner Zeit in Rom, als Erzbischof in Argentinien, lieber die U-Bahn. Statt im prunkvollen Apostolischen Palast lebte er lieber im einfachen Gästehaus Santa Marta. Er wusch die Füsse von Häftlingen und frühstückte mit Obdachlosen. Drei Tage vor seinem Tod besuchte er das römische Gefängnis Regina Coeli, nahe dem Vatikan. Schon sehr schwach und gezeichnet, sagte er zu den Gefangenen: «Warum ihr und nicht ich?» Applaus brandete auf.
Diese Bilder vom Papst haben auch die jüngere Generation erreicht. Auch natürlich via Instagram – der Account @franciscus zählt immerhin mehr als zehn Millionen Follower. Der jüngste Beitrag ist seine kurze Osteransprache vom Sonntag. Der 14-jährige Nicolò Filoni aus Rom, noch ganz am Anfang der Schlange auf dem Petersplatz, erzählt von den Videos, die er vom Papst gesehen hat. Der Papst, der mit Babys spielt und junge Menschen trifft.
Diese Tage sind die letzten, in denen die Menschen sich noch ein Bild von ihrem Papst machen können. Noch bis Freitag wird der Leichnam im Petersdom aufbewahrt, im offenen Sarg. Carola Quaglia und Emilia Gambini, zwei junge Frauen aus Argentinien, der Heimat des Papstes, haben gerade ihren letzten Blick auf ihn geworfen. Wie war das für die beiden? Ihr erster Eindruck: Es sei nicht richtig, dass so viele Menschen Fotos und Videos in der Kirche machen. «Warum wollen sie ein Foto von diesem Moment?», fragt die 30-jährige Quaglia. Eigentlich sei sie nicht sehr religiös, aber am Sarg habe sie dennoch weinen müssen. «Ich habe versucht, über den Moment nachzudenken und bei meinen Gefühlen zu sein.» Auch ihrer Freundin seien am Sarg die Tränen gekommen: «Eine Frau hat mir ein kleines Bild von ihm gegeben, und – ich weiss nicht warum – ich musste sofort weinen», erzählt Gambini.
Warum sie so ergriffen waren, obwohl sie nicht gläubig sind, können sie sich selbst nicht so recht erklären. «Vielleicht, weil wir Argentinierinnen sind?», überlegt Quaglia. «Und es sicher der letzte argentinische Papst war», ergänzt Gambini. «Oder vielleicht – weil das der eine Moment in meinem Leben ist, bei dem ich bei einem so wichtigen Ereignis dabei bin.» Ein Foto vom toten Papst aber brauche sie nicht, um sich daran zu erinnern.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Wie kann man nur? Egal ob Papst oder nicht, es ist einfach komplett daneben.
Ich hätte nicht mal das Bedürfnis, ein Leichnahm einer "fremden" Person zu betrachten oder mich von ihr zu verabschieden. Verstehe aber, das gläubige sich vom Papsr verabschieden möchten.. aber Fotos machen? WTF! Viele Menschen sind einfach unanständige Wesen, nett gesagt.